„… eine Form ist eine geistige Vertiefung, in den Augenblick, in das Hier und Jetzt. Kung-Fu Techniken werden aus dem ‚automatischen‘ Bewegungsgedächtnis abgerufen und können so in einer unerwarteten Geschwindigkeit ausgeführt werden. Man hat das Gefühl über sich selbst hinauszuwachsen. Wird eine Form besonders hoch trainiert, scheinen Zeit und Raum keine Bedeutung mehr zu haben – das Bewusstsein des Kung Fu Trainierenden verschmilzt mit den Techniken und ermöglicht so auch außerkörperliche Erfahrungen…“

Was ist eine Form im Kung Fu?

Auf den ersten Blick sieht eine Form aus wie ein Tanz, wie Bewegungen die scheinbar zufällig oder improvisiert aussehen. Wenn wir eine Form zum 2. oder 3. Mal sehen erkennen wir, dass diese zufällig erscheinenden Bewegungen in ihrer Reihenfolge immer wieder gleich sind. Darüber verwundert erkundigen wir uns bei einem anderen Zuschauer was dort gezeigt wird. Dann erfahren wir, dass es sich um Kung Fu handeln soll – um eine alte Kampfkunst. Wir erinnern uns an alte (und manchmal auch brutal wirkende) Kung Fu Filme. Aber wenn wir uns diese Form ansehen, wirkt sie gar nicht mehr so brutal auf uns; eher schon elegant, es scheint als wäre es ein Ausdruck hoher Körperbeherrschung. Die Bewegungen wirken eher sehr harmonisch, ästhetisch oder einfach nur schön auf uns.
Nun fragen wir einen der Kung Fu Trainer was es damit auf sich hat. Dieser sagt uns: „Kung Fu Formen“ sind festgelegte Bewegungsabläufe, in denen die Bewegungen eines Kampfes gegen einen imaginären (nur in der Vorstellung des Kämpfenden) Gegner ausgeführt werden. Auf meine Frage warum dann kein Gegner dabei ist, wird mir geantwortet: Die Techniken des Kung Fu sollten früher mal das eigene Leben retten. Also sind diese sehr effektiv; so effektiv, dass diese häufig tödlich sein können. Daher kann man nur einen Teil der Kung Fu Techniken am Partner trainieren, andere gefährlichere KungFu Techniken übt man nicht am Partner, sondern man führt diese Techniken ohne Partner aus. So kann man sich verteidigen, wenn man ernsthaft überfallen wird, verletzt aber keinen Mitmenschen im Training. Die buddhistische Friedfertigkeit spielt eine wichtige Rolle.

Auf meine Frage ob es denn keine Übungen am Partner gibt, erfuhr ich, dass es sehr wohl sehr viele Partner-Übungen gibt und diese natürlich sehr oft geübt werden, aber die gefährlichsten Techniken eben nicht so trainiert werden. Außerdem kann man durch eine Form Kung Fu Kämpfe trainieren, wenn man alleine ist und gerade mal kein anderer Kung Fu Trainierender zur Stelle ist.

Ein anderer Kung Fu Trainier erzählte mir noch, dass diese Formen im Westen unter dem Namen „Schattenboxen“ bekannt geworden seien, weil es so aussähe, als ob die Kung Fu Kämpfer gegen ihren eigenen Schatten kämpfen würden.
Nach all diesen Beobachtungen war mein Interesse geweckt, und als ich nach Hause kam, ging ich ins Internet und informierte mich weiter: Ich las, dass die buddhistischen Mönche aus dem Shaolin Kloster lernten, den Augenblick besonders wahrzunehmen. Sie versuchten ihr Bewusstsein im Hier und Jetzt zu fokussieren. Die Mönche wollten aus dem Trott, der Alltags-Gewohnheit und dem ewigen Kreislauf ausbrechen. Daher entwickelten sie mentale Techniken um den Augenblick in ganz besonderer Weise zu erfahren, ihr Bewusstsein auf das Hier und Jetzt zu richten, und so zu erwachen und ihr Bewusstsein für neue Erfahrungen zu öffnen.

Kung Fu schien für die Shaolin Mönche nicht nur Kampf zu sein, sondern auch eine Art der Meditation, eine Bewegungsfolge die auch den Geist und die Seele in eine harmonische Bewegung versetzt. (Heute weiß ich, als Diplom Psychologe, dass viele Meditationstechniken sich körperlicher Aspekte bedienen um psychische Erfahrungen zu vermitteln.) Aber die Art und Weise, wie die Intensität der Kung Fu Form, ist bis zum heutigen Tage eine unübertroffene Form der körperbezogenen Meditation. Durch diese spezielle Art der geistigen Vertiefung, gepaart mit den mentalen Vorstellungsbildern, wird ein besonderer mentaler Zustand erreicht. Eine Einheit zwischen Geist und Körper, der den Kung Fu Trainierenden zu ungeahnten Leistungen befähigt. In dem Film „Matrix“ wird versucht dieses Konzept dem Zuschauer zu vermitteln. Dies gelingt im Film natürlich nur ansatzweise, aber wer den Film gesehen hat, kann sich ungefähr vorstellen, wovon ich hier rede.

Ich las auch, dass die Mönche das geschriebene Wort als nicht mehr lebendig ansahen und daher ablehnten. D. h. ihr angesammeltes Kampfkunst-Wissen wollten sie nicht einfach in ein Buch schreiben (was sowieso sehr schwierig ist) sondern sie wollten dieses Wissen in „lebendiger“ Form an die Nachwelt weiter geben. Die Bewegung an sich (nicht das Einnehmen von Endpositionen, sondern der Weg zur Position) sollte hier weiter gegeben werden. Wir im Westen kennen dies unter dem Spruch: „Der Weg ist das Ziel.“
Als ich erfuhr, dass die Mönche das geschriebene Wort ablehnten, und lieber die Bewegung (den Weg) weitergaben, erkannte ich, dass der Bewegungsablauf (die „Form“) die traditionelle Lehrmethode war, dieses wertvolle Kampfwissen von Generation zur Generation weiterzugeben.

Schließlich ging ich zum Kung Fu Training, wo ich bis heute geblieben bin. Als ich im Training mit den Formen begann, erfuhr ich aber auch noch eine ganz andere, sehr praktische Herangehensweise an die Formen:
Wenn ich angegriffen werde, gibt es mehrere Möglichkeiten wie ich diesen Angriff abwehre. Im Kung Fu lerne ich, wie ich in der Situation die bestmögliche Abwehr auswähle ohne lang überlegen zu müssen. Die Antwort auf diesen Angriff nennt man Parade – aber auch hier hat der Gegner mehrere Möglichkeiten auf meine Parade zu reagieren. In der Form geht man davon aus, dass der Gegner die bestmögliche Antworttechnik auf meine Parade hat und so die bestmögliche Attacke ausführt. Und genau darauf wird (in der Form) die nächste Technik trainiert. D. h. wenn ich den bestmöglichen Kämpfer annehme, trainiere ich die Bewegungsabläufe, durch die ich in der Lage bin diesen Gegner zu besiegen. Wenn der Gegner nicht so gut ist, besiege ich ihn sehr schnell. Z. B. greift mich jemand an: Ich verteidige mich, so wie ich es hunderte von Malen in der Form (der festgelegten Bewegungsabfolge) trainiert habe. Wenn mein Gegner (der Angreifer) meine Antwortattacken nicht abwehren kann, ist der Kampf entschieden und der Gegner liegt am Boden und ich kann unbehelligt gehen. Wenn der Gegner aber sehr gut trainiert ist und auf meine Gegenattacken optimal reagiert, kann er meine Antwortattacken abwehren, und wir kämpfen weiter. Da ich durch die traditionelle KungFu Form immer die optimale Technik auf alle Angriffe trainiert habe, ist es nur eine Frage der Zeit (manchmal auch eine Frage der Ausdauer und Fitness) bis ich den Kampf gewinne.

            Entscheidungsbaum

Martiale-Antizipation: Die Fähigkeit mögliche Attacken des Gegners vorwegnehmen

Verschiedene Formen vermitteln verschiedene Arten und Weisen auf einen Angriff zu reagieren. Zum Einen, damit ich als Verteidiger nicht berechenbar bin (dies wäre der Fall, wenn ich immer nur eine Antwort auf eine Attacke wüsste), zum Anderen zeigen die verschiedenen Formen verschiedene Antworten auf die verschiedenen Versionen einer Attacke. Z. B. kann mein Gegner einen Fauststoß ausführen während er auf mich zu geht, auf mich zu rennt, oder einfach stehen bleibt und mich schlägt. In all diesen Fällen wirken verschiedene Energien auf mich ein. Diese Energien zu erkennen, zu verstehen, und zu meinem eigenen Vorteil zu nutzen, das ist richtiges traditionelles Kung Fu. Dies wird neben den Partnertechniken durch die Kung Fu Formen trainiert.
Ein traditioneller Kampf-Stil der so vollständig ist, wie der Seven Star Mantis Kung Fu Stil, vermittelt natürlich alle relevanten Kampf-Techniken und Kampf-Strategien. D. h. zu jeder Zeit ist man durch die Techniken nicht nur geschützt, sondern seinem Gegner (der meist keine professionelle Kampfausbildung hat) weit überlegen.

Ein weiterer wichtiger Punkt sind die psychologischen Aspekte. Man kann alle Kampftechniken kennen, aber wenn man vor Angst in einer Gefahrensituation gelähmt ist, hilft dies einem auch nicht weiter. Daher wird natürlich auch die Bewältigung des psychischen Stresses trainiert. Damit man in einer Gefahrensituation entsprechend reagieren kann (d. h. man ist nicht vor Angst gelähmt, aber auch nicht übertrieben gewalttätig, sondern man handelt der Situation angemessen). Wenn ich eine Form trainiere, trainiere ich nicht nur die Bewegung, sondern auch Ruhe und Konzentration. Dies hilft mir auch in einer Gefahrensituation ruhig und konzentriert zu bleiben und mich nicht von Gefühlen wie Angst oder Verwirrung übermannen zu lassen.

Nach vielen Monaten des Seven Star Mantis Kung Fu Trainings erkannte ich wie wahr dieses Konzept war: Ich wurde angegriffen! Ich war abends zusammen mit meiner Freundin unterwegs, als zwei Typen uns bedrängten. Ich hatte große Angst und extremen Stress. Aber ohne das ich es wollte, erinnerte sich ein Teil von mir an die lang antrainierten Bewegungsabläufe. Ohne das ich es wirklich wollte, haben meine Arme alle gegnerischen Attacken abgewehrt. Fast automatisch fing ich an mich gegen meine Angreifer zu verteidigen. Den ersten meiner Angreifer konnte ich nicht nur abwehren, sondern ich bekam ihn zu fassen. Mit den Techniken, die besonders der Mantis-Kung-Fu-Stil mir bot, konnte ich den Gegner sofort zu Boden werfen und er hielt sich mit schmerzverzerrtem Gesicht seinen Arm fest. Als der zweite Angreifer dies sah, überlegte er es sich anders und flüchtete. Mein erster Angreifer stand schließlich auch auf und flüchtete ebenfalls. Äußerst erschreckt und mit rasendem Puls war ich sehr erleichtert als beide das Weite suchten, danach nahm ich meine Freundin in den Arm und ging unverletzt und erleichtert weiter.

Siehe auch „Zeichnungen-von-Formen“

Siehe auch „Videos-von-Formen“